INMUSIC

Drake-Seelenforschung

Auf dem Bonner Weltmusiklabel Traurige Tropen sind in den letzten Jahren einige beachtliche CDs veröffentlicht worden, aber selten zuvor waren die Reaktionen auf ein Album derart positiv, wie auf die Nick-Drake-Hommage des belgischen Gitarristen GILBERT ISBIN. Der GUITAR PLAYER sprach von einer “bestandenen Gratwanderung” und ALL ABOUT JAZZ möchte ihn gar auf eine Stufe mit der US-amerikanischen Gitarrenlegende John Fahey stellen. Ein guter Grund, um den belgischen Ausnahmegitarristen, der mit seiner Frau und drei seiner vier Kinder in St. Andries (einem Vorort des ostbelgischen Brügge) lebt, zu interviewen.

InMusic: Wo liegen deine musikalischen Wurzeln?

Gilbert: Meine Initialzündung hatte ich erst mit 18 Jahren, als ich über John Mayall’s Bluesbreaker, Eric Clapton und Jimi Hendrix stolperte. Für wenig Geld habe ich mir eine Gitarre gekauft und begann, darauf rumzujammen. Später hab’ ich mir dann ein paar Songbooks zugelegt, u.a. Leonard Cohen. Es war eines der ersten Lehrbücher, die gleichzeitig eine Fingerpicking-Schule mitlieferten. Ich habe mir dann einen Lehrer besorgt, was sich als Glücksfall herausstellte. Er wollte nicht viel Geld und brachte mich außerdem noch mit Platten und der Musik von Leuten zusammen, die mich später prägen sollten: Miles Davis, John Coltrane, aber auch Bert Jansch und Dave Evans (der heute übrigens in Brüssel lebt). Ich fand viele der Sachen anfangs bizarr und abstrakt, aber eben auch sehr spannend. Schließlich entdeckte ich “My Goals Beyond” von John McLaughlin. Er vermischte traditionellen, sehr lyrischen Jazz mit World-Music und dem “Feuer des Rock” – unglaublich! Diese Platte hat deutliche Spuren bei mir hinterlassen. Später bin ich extra nach London geflogen, um mir Scheiben von Leo Brouwer und Bill Connors zu kaufen. Ich hatte dann auch das Gefühl, dass ich jetzt langsam mal damit anfangen könnte, meine eigenen Sachen zu komponieren. Ich nahm mein erstes Album “Pure” auf, und das gute Feedback bestärkte mich, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

InMusic: Was hat dich dazu bewegt, ein Nick-Drake-Tribute aufzunehmen? Das ist ja schließlich kein leichtes Unterfangen, damit begibt man sich auf dünnes Eis…

Gilbert: Bevor ich die Sache für “TraurigeTropen” gestartet habe, wusste ich tatsächlich nicht viel von Drake. Ich habe dann seine Musik intensiv studiert und viel über Ihn gelesen. Er ist ja nicht nur ein genialer Musiker, der mit ganzen drei (regulären) Alben mehr bewegt hat als andere mit 30, er ist auch ein hochinteressanter, faszinierender Mensch, der nicht damit klargekommen ist, dass er Zeit seines Lebens keinen kommerziellen Erfolg hatte. Das und – wie ich fest glaube – die Drogen, haben Ihn umgebracht. Um seine Musik zu verstehen, muss man seine Seele erforschen …

IInMusic: Drogen? Du meinst also, Drake war drogenabhängig?

Gilbert: Ganz bestimmt, alle Indizien sprechen doch dafür. Ich meine: verschlossen war er immer, introvertiert, aber irgendwann, so schreibt ja auch Patrick Humphries in seiner vorzüglichen Drake-Bio (Bloomsbury, New York, 1997), kommt er aus Nordafrika wieder und ist völlig verändert. Seine Freunde sagen doch auch, er sei da wahrscheinlich mit Drogen in Berührung gekommen … Die Veränderungen in seiner Psyche (Entfremdung, Realitätsverlust, Angstzustände) sprechen auch eindeutig dafür. Sein kommerzieller Misserfolg war eine Sache, aber erst die Drogen haben ihn umgekrempelt! Seine Musik, um mal zum Wesentlichen zurückzukommen, hat mich berührt. Gleichzeitig war ich beeindruckt von seiner faszinierenden Technik. Trotz aller Melodie immer diese sanften Dissonanzen – gespalten wie er selbst…

InMusic: Wie bist Du an seine Kompositionen herangegangen?”

Gilbert: Zunächst notierte ich die Melodien, Note für Note. Dann arbeitete ich die Begleitung heraus. Bemerkenswert ist übrigens, dass seine Melodiebögen rhythmisch immer irgendwie zwischen den Takten und niemals “auf der eins” sind. Eine der vielen Besonderheiten, die ihn und seine Musik ausmachen. Ich benötigte übrigens beinahe acht Monate, um die Arrangements auszuarbeiten. Ich denke, ich habe mich niemals länger an einer Vorbereitung aufgehalten. Und dann habe ich das Material in nicht mal acht Stunden eingespielt …

InMusic: Du hast den Weg des Impressionisten gewählt. Mir hat gefallen, dass du nicht versucht hast, ihn einfach zu kopieren, seine Songs nachzuspielen …

Gilbert: Wenn du ihn einfach nachspielen würdest, würdest du scheitern. Du wärest dann so nah am Original, dass dich jeder direkt mit Drake vergleichen könnte. Eine alberne und groteske Sache. Mein Bestreben war es, Drakes zerbrechliche Melodien zu bewahren und gleichzeitig meinen Stil einfließen zu lassen. Wenn du sein Werk ehren möchtest, dann musst du das Wesentliche in seiner Musik entdecken und freilegen – das war mein Bestreben!

InMusic: ... und es ist dir gelungen, was die Presse auch entsprechend honoriert hat. Der altehrwürdige GUITAR PLAYER hat beispielsweise von einer “bestandenen Gratwanderung” gesprochen …

Gilbert: Ja, es war durchaus eine Gratwanderung. Na ja, aber letztlich bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden, denn das, was ich mir vorgenommen habe, habe ich – denke ich zumindest – umsetzen können.

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